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Inhalt:

  1. Pflegende Angehörige brauchen eine Interessenvertretung
    1. Ärzte
    2. Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK)
    3. Pflegekassen
    4. Pflegeeinsätze
    5. Pflegekräfte der ambulanten Dienste
    6. Pflegekräfte in den Tagesstätten
    7. Pflegekräfte in Heimen
    8. Pflegekräfte in Akutkrankenhäusern
    9. Kurzzeitpflegeeinrichtungen
    10. Hol- und Bringedienste
    11. Gesetzliche Betreuer
  2. Schlußbemerkung

Die Alzheimer Angehörigen-Initiative als Fürsprecher für Angehörige und Demenzkranke

Die mir bekannten Beratungskonzepte gehen ausschließlich von dem Belastungserleben der Hauptpflegeperson in ihrer Wechselbeziehung mit dem Demenzkranken aus. Die Einflußnahme auf unangemessen handelnde Menschen und Institutionen im Umfeld der Demenzkranken und ihrer pflegenden Angehörigen (äußeres Spannungsfeld) macht einen erheblichen Anteil der Angehörigenarbeit aus. Dieser darf gegenüber ihrer traditionellen Ausrichtung auf das objektive und subjektive Belastungserleben der pflegenden Angehörigen - etwa aufgrund des Pflegebedarfs und Einstellung zum Kranken sowie zur eigenen Lebenssituation (inneres Spannungsfeld) - nicht vernachlässigt werden. An Praxisbeispielen möchte ich aufzeigen, wie die Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V. im Einzelfall - direkt oder indirekt - auf die qualitätsgerechte Bereitstellung von Leistungen anderer Einrichtungen Einfluß nimmt.

Professionelle Helfer und Einrichtungen weisen im Umgang mit dem Problemfeld Demenz gelegentlich erhebliche Defizite auf. Die folgenden Beispiele sind keinesfalls vollständig und schon gar nicht repräsentativ. Sie gewähren lediglich einen kleinen Einblick in die breite Palette von Problemfeldern, denen die Betroffenen tagtäglich ausgesetzt sind. Auch hier ist der Handlungsbedarf kaum abschätzbar. Was die Angehörigen-Initiative Berlin e.V. hier z.Zt. an Schadensbegrenzung leisten kann, ist allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.

Alle Beispiele sind authentisch. Sie wurden aus den Beratungs- und Gruppengesprächen der letzten zwei Jahre zusammengetragen.

a) Ärzte

Ärzte sind die erste Anlaufstelle für Demenzkranke und deren Angehörige. Häufig beklagen sich die pflegenden Angehörigen, daß sich die Ärzte nicht die erforderliche Zeit nehmen, um gründlich über das Krankheitsbild und den zu erwartenden Krankheitsverlauf aufzuklären. Anscheinend verfügen sie auch nicht über die Kenntnisse, um die Angehörigen über angemessene Umgangsweisen mit dem Kranken zu beraten. Und schon gar nicht verweisen sie pflegende Angehörige an entsprechende Hilfseinrichtungen. Die wenigen Ärzte, die das tun, sind wirklich rühmliche Ausnahmen. Ich sage es mit aller Deutlichkeit:: Viel zu viele Hausärzte lassen die Demenzfamilie in unverantwortlicher Weise ratlos und hilflos allein. Dazu nur ein paar Beispiele:

  • Die "Beratung" eines Arztes beschränkte sich darauf zu sagen (sinngemäß): "Damit müssen Sie sich abfinden, daß Ihr Mann allmählich verblödet. Da kann ich leider gar nichts tun. Aber wenn Ihr Mann aggressiv wird, dann kommen Sie wieder, dann verschreibe ich ihm etwas."
  • In dieser Art von "Beratung" drückt sich ein völlig unberechtigter therapeutischer Nihilismus aus. Dieser äußert sich oftmals auch direkt:: "Wie alt ist Ihre Mutter? 85! Na, was erwarten Sie denn da noch?"
  • Ein anderer Arzt verschrieb zwar ein Nootropicum, ging aber unmittelbar darauf in Urlaub, ohne auch nur ein Wort über die möglichen körperlichen Nebenwirkungen dieses Medikamentes zu verlieren. Außerdem unterließ er es, die bei diesem Medikament unbedingt notwendigen Begleituntersuchungen zu veranlassen.
  • Auch bei der Verschreibung von Medikamenten mit sedierender Wirkung wurden die Angehörigen nicht über mögliche Konsequenzen informiert: Ein ruhig gestelltes Gehirn verfällt schneller als ein aktiviertes. Entsprechend unbedarft verabreichen die Angehörigen - im Vertrauen auf den Arzt - diese Medikamente, z.B. weil der Kranke weinte und allabendlich zu seinen längst verstorbenen Eltern wollte.

Immer wieder stelle ich fest, daß Hausärzte Demenzkranke nur sehr zögerlich an fachkompetente Kollegen überweisen. Die Angehörigen erhalten dann unspezifische Diagnosen wie z.B. "HOPS" und sind dann froh, daß der Patient nicht an "Alzheimer" leidet. Oder dem Angehörigen wird gesagt, der Kranke sei "verkalkt" und das sei doch bei dem Alter ganz normal. In unverantwortlicher Weise wird das Krankheitsbild heruntergespielt. Da drängt sich doch der Verdacht auf, daß der Kranke möglichst lange durch die eigene Praxis betreut werden soll.

In all diesen Fällen mußte ich erst ausgleichende Maßnahmen einleiten, z.B. die Angehörigen über Gedächtnissprechstunden , z.B. bei der Charité, informieren, wo fachgerechte Diagnosen gestellt werden und wie wichtig diese für die weitere Lebensplanung sind. Selbstverständlich kläre ich den Angehörigen über die Krankheit und den zu erwartenden Krankheitsverlauf auf sowie über die krankheitsgerechte Pflege und Betreuung. Das sollte aber eine Ergänzung der ärztlichen Leistung sein und kein Ersatz dafür.

b) Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK)

Zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit schickt der Medizinische Dienst der Krankenkassen z.B. Urologen, HNO- und Kinderärzte - nur so gut wie keine Neurologen.

Mit dem Krankheitsbild Demenz unerfahrene Ärzte neigen zuweilen dazu, dem Kranken Suggestivfragen zu stellen. Diese werden von dem Kranken naheliegenderweise falsch beantwortet. Entsprechend fallen dann die Gutachten unqualifiziert aus und führen so zu Fehleinstufungen. Wir leiten dann regelmäßig Widerspruchsverfahren ein. Mein Mann hat auf dem PC einen Musterbrief verfaßt, der uns die Arbeit sehr erleichtert. Die genaue Kenntnis der Lebenssituation der Kranken, die ich persönlich kenne, und der Angehörigen, die ich seit langem begleite, erleichtern mir die Erstellung individueller Widersprüche. Trotzdem bindet sie weiterhin viel Energie. Immerhin waren bis jetzt jedoch alle entschiedenen Widersprüche der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V. erfolgreich.

Von dem unseligen Papierkrieg einmal abgesehen, richten die Gutachter nicht selten unbewußt direkte Angriffe auf das ohnehin erheblich gestörte Selbstwertgefühl der Demenzkranken:

  • Häufig wird mit dem pflegenden Angehörigen im Beisein des Kranken über dessen Defizite gesprochen.
  • Ein Arzt drohte dem Demenzkranken gar mit Strafe, falls er nicht aufhöre zu weinen.
  • Ein anderer Arzt redete die Kranke unsensibel und respektlos an: "Komm, Muttchen, tanzen wir mal miteinander."
  • Eine schwer gehbehinderte Kranke wurde zwecks Begutachtung mit ihrer Tochter gar in die Arztpraxis bestellt - was auch gar nicht zulässig ist.

In diesen Fällen kann ich die pflegenden Angehörigen nur ermuntern, sich beim MDK über derartiges Verhalten zu beschweren, in der Hoffnung, daß durch nachdrückliche Beschwerden Fehlverhalten bewußt gemacht und letztlich vermieden werden.

c) Pflegekassen

In der Praxis orientieren sich die Pflegekassen bei der Anwendung des PflegeVG oftmals nicht ausreichend an dem Krankheitsbild Demenz. Die Spielräume, die der § 14, Abs. 3 bietet, in dem der Bedarf an "aktivierender Pflege" geregelt ist, werden zu wenig berücksichtigt. Erst im Widerspruchsverfahren werden dann z.B. die aufwendigen Anleitungshilfen als Pflegezeiten anerkannt.

Ganz zu schweigen von den zuweilen langen Bearbeitungszeiten! Oftmals resignieren die Angehörigen und ich muß sie dann erst wieder mühsam motivieren, ihren Rechtsanspruch durchzusetzen.

d) Pflegeeinsätze

Wird dann das Pflegegeld nach dem PflegeVG bewilligt, kommen die sgn. "Pflegeeinsätze". Das sind qualitätssichernde Kontrollbesuche bei den Leistungsempfängern, die ausschließlich Geldleistungen in Anspruch nehmen. Pflegeeinsätze werden von Sozialstationen und privaten Pflegeeinrichtungen durchgeführt, die auch ein wirtschaftliches Interesse daran haben, abrechenbare Leistungen zu verkaufen. In einem außergewöhnlichen Fall wurde von einer privaten Pflegeeinrichtung der Pflegeeinsatz offenkundig als Vorwand genutzt, um rücksichtslos wirtschaftliche Interessen zu verfolgen.

So spielte sich eine Mitarbeiterin als "Gutachterin" auf und beschuldigte den pflegenden Ehegatten, seine Frau zu vernachlässigen. Der Grund: Der Mann hatte lediglich zwei Einsätze zur Grundpflege und häuslichen Pflege in Anspruch genommen, statt fünf, wie von der Pflegeeinrichtung gewünscht. Um ihrem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, zog die Mitarbeiterin der Pflegeeinrichtung sogar die Hausärztin hinzu.

Durch meine regelmäßigen Hausbesuche in den letzten zwei Jahren war ich jedoch über die hingebungsvolle Pflege des Ehemanns bestens informiert. Erst einmal klärte ich den Angehörigen auf, daß wegen der Inanspruchnahme von Sachleistungen gar kein Pflegeeinsatz gerechtfertigt war und stärkte durch meine fürsorgliche Ansprache den innerlich schwer verletzten Mann. Außerdem intervenierte ich energisch bei der Pflegeeinrichtung, um solchem unverfrorenen Vorgehen eine Schranke zu setzen.

e) Pflegekräfte der ambulanten Dienste

Die erheblichen Guthaben der Pflegekassen sind u.a. darauf zurückzuführen, daß pflegende Angehörige lieber die geringeren Geldleistungen in Anspruch nehmen, als die besser vergüteten Sachleistungen. Meines Erachtens ist das darauf zurückzuführen, daß die Sachleistungen sich nicht am Problemfeld Demenz orientieren.

Was nützt z.B. eine Hauspflegerin, die zur Grundpflege kommt,

  • und sich der Demenzkranke uneinsichtig zeigt und sich gegen die Hilfeleistung energisch wehrt?
  • und zehn Minuten nach ihrem Weggehen der Demenzkranke infolge seiner Inkontinenz alle geleistete Arbeit zunichte macht? Dann steht der Angehörige mit der Körperpflege doch wieder alleine da.

Pflegende Angehörige berichteten mir von Pflegekräften, die eingesetzt wurden, ohne über das Krankheitsbild informiert zu sein. Sie übergehen dann z.B. unter Berufung auf ihre Fachkompetenz alle - dem Demenzkranken helfenden - Riten und rufen so u.U. eine kaum noch zu beherrschende Situation hervor. Wenn dann in der Pflegedokumentation steht, der Kranke habe sich widerspenstig und aggressiv verhalten, belastet das den pflegenden Angehörigen, statt ihn zu entlasten.

Auch hier nehme ich über den Angehörigen - zuweilen aber auch direkt - mit der Einrichtung Kontakt auf, um solche Vorkommnisse zu reduzieren.

f) Pflegekräfte in den Tagesstätten

Tagesstätten sind segensreiche Einrichtungen, die die Kranken nicht nur im Sinne einer ganzheitlichen Pflege aktivieren sollen, sondern den pflegenden Angehörigen auch zeitweise entlasten bzw. die weitere Berufstätigkeit ermöglichen. Allerdings weigern sich viele Tagesstätten, Alzheimerkranke aufzunehmen, da ihre Organisation und Infrastruktur nicht auf die typischen Symptome wie Inkontinenz, Unruhe und Weglauftendenz ausgerichtet ist.

Auch das Wissen des Pflegepersonals läßt häufig zu wünschen übrig. 60 % der Pfleger klagen darüber, nicht ausreichend über dementielle Erkrankungen informiert zu sein. Entsprechend häufig sind Fehlhandlungen, von denen hier nur eine exemplarisch herausgegriffen sei:

Ein harninkontinenter Demenzkranker wird vom Fahrdienst nach Hause gebracht. Die Autositze sind nicht vor Einnässen geschützt. Entsprechend unangenehm sind die Folgen, als der Kranke während der Fahrt Wasser läßt. Auf Nachfrage antwortet das Pflegepersonal, daß sie doch zehn Minuten vor der Heimfahrt den Kranken gefragt hätten, ob er zur Toilette müsse und dieser habe mit "nein" geantwortet.

Diese Rechtfertigung zeigt, daß in diesem Fall das Krankheitsbild Demenz völlig ignoriert wurde. Natürlich reicht es nicht aus, den Demenzkranken nur zu fragen. Besser wäre es gewesen, entsprechende Impulse zu setzen, z. B. indem man den Kranken zur Toilette führt. Ob in dieser Tagesstätte überhaupt ein Toilettentraining durchgeführt wird, erscheint unter diesen Umständen zumindest fraglich.

Eigentlich hätte der Tagesstätte der Vorfall peinlich sein müssen. Statt dessen verursachte eine vorwurfsvolle Haltung der Tagesstättenleiterin gegenüber der pflegenden Ehefrau bei dieser ein Gefühl der Peinlichkeit. Auch hier war ich wieder gefordert, die Dinge ins rechte Licht zu rücken, der Angehörigen den Rücken zu stärken und auf die Tagesstätte aufklärend einzuwirken.

g) Pflegekräfte in Heimen

In Berlin haben es pflegende Angehörige schwer, überhaupt ein Heim zu finden, das bereit ist, einen Alzheimer-Kranken aufzunehmen. Wie muß ein pflegender Angehöriger empfinden, dem nach jahrelanger aufopfernder Pflege - physisch und psychisch an Ende und von Schuldgefühlen gequält - gesagt wird: "Zehn Jahre haben wir einen Alzheimer gepflegt; nun ist er Gott sei Dank verstorben."?

Die Pflege im Heim wird allein schon durch die räumliche Veränderung zusätzlich erschwert. Auf die erhöhte Desorientierung reagiert der Kranke mit verstärkter Unruhe und Angst. Seine Hilflosigkeit nimmt zu. Die jetzt so notwendige Zuwendung und Ansprache kann das Heim - mit welchem Personalschlüssel auch immer - nicht leisten. Es bleibt meist nichts anderes übrig, als mit sedierenden Medikamenten und zeitweiser Fixierung beherrschbare Situationen zu schaffen. Die Folge ist oftmals ein rapide fortschreitender Krankheitsverlauf.

Pflegende Angehörige, die sich nach zähem Ringen für eine Heimeinweisung entschieden haben, beobachten das weitere Geschehen sehr kritisch, um zu prüfen, ob ihre Entscheidung richtig war. Angesichts der plötzlichen Verschlechterung fragen sie sich entsetzt: "Was habe ich getan?" Eine 80-jährige pflegende Ehefrau drückte das treffend so aus: "Die Schuldgefühle quälen mich jetzt mehr als meine ständigen Rückenschmerzen, derentwegen ich meinen Mann dem Heim anvertrauen mußte." Die physische Entlastung von der Pflege führt daher nicht immer zu einer Abnahme des Belastungserlebens, sondern verstärkt u.U. die psychische Belastung.

Diese pflegenden Angehörigen brauchen jetzt die stützende Fürsprache mehr denn je. Oft hilft hier die Angehörigengruppe, manchmal müssen auch ganz unkonventionelle Wege gefunden werden, um Schuldgefühle bewältigen zu helfen. So bat mich z.B. ein Angehöriger um einen Besuch im Heim, damit ich ihm die Richtigkeit seiner mühsam getroffenen Entscheidung bestätige.

Neben dem chronischen Personalmangel wirken sich Unverständnis und fehlendes Einfühlungsvermögen verschärfend auf die beschriebene Situation aus. Mangelnde Kenntnisse über das Krankheitsbild Demenz lassen somit ein Verstehen der vielen Fehlhandlungen nicht zu. Vor allem berichten Angehörige häufig von dem völlig falschen Eingehen auf die veränderte innere Erlebniswelt des verwirrten Menschen. So wird z.B. einem desorientierten Alzheimerkranken patzig geantwortet: "Ich bin nicht Ihr Frauchen!" Derartige Erlebnisse werden dann in der Angehörigengruppe zur Sprache gebracht. Hier erfahren die Angehörigen die notwendige Rückenstärkung, um beobachtete Mißstände auch im Heim zur Sprache zu bringen.

h) Pflegekräfte in Akutkrankenhäusern

Akutkrankenhäuser sind anscheinend mit der Aufnahme von Demenzpatienten völlig überfordert. Dies führte in einem Fall sogar dazu, daß ein Kranker wenige Stunden nach der ärztlichen Einweisung nachts um 2 Uhr wieder nach Hause gebracht wurde. Es bestehe kein Grund für einen weiteren Krankenhausaufenthalt.

Insgesamt trifft die Situation aus den Heimen auf Akutkrankenhäuser in verschärfter Weise zu, da deren Organisation nicht auf Demenzpatienten ausgerichtet ist. Entsprechend der Spezialisierung der jeweiligen Station steht der Einweisungsgrund (z.B. vermuteter Herzinfarkt) im Zentrum des Interesses. Die Demenz wird dagegen ignoriert, bzw. lediglich als störende Begleiterscheinung gesehen.

Folgende Vorkommnisse wurden berichtet:

  • Ein Kranker blieb unbeaufsichtigt bei offenem Fenster aufgedeckt liegen. Er wurde so völlig unterkühlt von seiner Ehefrau vorgefunden. Kurz darauf erkrankte er an einer Lungenentzündung und verstarb.
  • Einem anderen Kranken wurde das Essen gebracht und nach einer Weile unangetastet wieder weggenommen. Die Schwester wußte nicht, daß der Patient nur noch bedingt selbständig essen konnte und vermutete Appetitlosigkeit.
  • Gleiches passierte mit dem Trinken. Während zu Hause das mangelnde Durstgefühl durch die Aufmerksamkeit der pflegenden Ehefrau kompensiert wurde, achtete im Krankenhaus niemand darauf, ob bzw. wieviel der Patient im Laufe des Tages trank. Dies führte nach ein paar Tagen zu einem akuten Delir. Die weitere Verschlechterung der Verwirrtheit wurde zunächst nicht dem Flüssigkeitsmangel, sondern der Demenz zugeschrieben.
  • Der Demenzkranke wurde zudem inkontinent, weil er weder den Rufknopf betätigte, noch selbständig die Toilette fand. Ein an sich notwendiges Kontinenztraining fand also nicht statt, mit der Folge, daß der Patient auch zu Hause inkontinent blieb.
  • Während dieser Patient in den erwähnten Situationen überfordert war, wurde er bei der Morgen- und Abendtoilette unterfordert. Aus Zeitmangel wurde er nicht zum Waschen und Rasieren angeleitet. Statt dessen tat das die Schwester kurzerhand, was der Patient sogar mit Wohlwollen annahm. Zum Ende des Krankenhausauftenthalts hatte er dann die Fähigkeit zur bedingt selbständigen Körperpflege völlig verloren.

Aus der Diskussion dieser Begebenheiten in den Angehörigengruppen zogen einige pflegende Angehörige den Schluß, im Krankenhaus im Bedarfsfall mehr Präsenz zu zeigen, statt die Dauer des Aufenthalts zur eigenen Entlastung zu nutzen. Die von den Angehörigen angebotene Hilfe wird aber von den Krankenhäusern sehr unterschiedlich angenommen - dabei sind doch die pflegenden Angehörigen wichtige Informationsträger und "Dolmetscher" der Kranken.

i) Kurzzeitpflegeeinrichtungen

Kurzzeitpflegeeinrichtungen ermöglichen den pflegenden Angehörigen den so wichtigen Urlaub von der Pflege. Oftmals nehmen pflegende Angehörige diese Einrichtungen erst in Anspruch, wenn sie selber ihre Belastungsgrenze erreicht haben. So kommt es gar nicht selten vor, daß sich pflegende Angehörige nach dem Urlaub freiwillig dazu entschließen, den Kranken in ein Heim zu geben, um die Belastung der Pflege nicht erneut auf sich nehmen zu müssen.

Immer wieder wird mir aber auch von pflegenden Angehörigen berichtet, daß sie ihren Kranken nach der Kurzzeitpflege mit einem sich sprunghaft verschlechterten Gesundheitszustand zurückbekommen haben. In einigen Fällen war die Verschlechterung so dramatisch, daß eine Fortführung der Pflege zuhause gar nicht mehr möglich war. Ich führe das darauf zurück, daß die Kranken - ihrer gewohnten Umgebung entrissen - mit Unruhe reagieren und einen starken Drang entwickeln wegzulaufen.

In mehreren Fällen mußten Kranke nach teilweise abenteuerlichen Irrfahrten von der Polizei zurückgebracht werden. Offensichtlich sind nicht alle Kurzzeitpflegeeinrichtungen dieser schwierigen Situation gewachsen. Um dennoch die Situation zu bewältigen, werden Psychopharmaka in einer sedierend wirkenden Dosierung eingesetzt, Ein ruhig gestelltes Gehirn verliert gegenüber einem aktiviertem Hirn sehr schnell an Leistungsfähigkeit. Für einen Alzheimer-Kranken, hat das fatale Folgen auch auf seine Motorik: Er wird trittunsicher und sturzgefährdet. Im Bett fühlt er sich dann scheinbar wohler, wo man ihn dann auch gerne beläßt. Mangelt es dann noch an der notwendigen Dekubitus-Prophylaxe, wird der Kranke zum Schwerstpflegefall "ins Bett gepflegt".

Die folgende Begebenheit ereignete sich genau so in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung, die damit warb, eine lange Tradition in der Betreuung von Diabetikern zu haben. Beruhigt vertraute eine pflegende Ehefrau ihren an Diabetes und Alzheimer erkrankten Mann dieser Einrichtung für vier Wochen an.

In dieser Zeit war der Kranke mehrfach weggelaufen, was zur Folge hatte, daß der Kranke über lange Zeit weder mit Nahrung noch mit Insulin versorgt wurde. Am Ende des Aufenthalts hatte der Mann zehn Kilogramm Gewicht verloren und konnte nicht mehr selbständig aufstehen oder stehenbleiben. Er mußte liegend nach Hause transportiert werden. Der Kranke war inzwischen völlig desorientiert und erkannte selbst seine Ehefrau nicht mehr. Auch war er inzwischen inkontinent geworden. Erst als die Ehefrau die Windeln erstmals wechselte, bemerkte sie einen großen Dekubitus am Steißbein, der ihr verschwiegen worden war, ebenso wie die Dekubiti an den Fersen. Die tiefen Wunden mußten unverzüglich in einem Akutkrankenhaus behandelt werden.

Die pflegende Ehefrau quälen seither schreckliche Schuldgefühle. Sie warf sich vor, ihren Mann ins Unglück gestürzt zu haben, während sie selber auf der dringend notwendigen Kur neue Kraft für die Fortsetzung der Pflege schöpfen wollte.

Seither geben wir in vielen Einzel- und Gruppengesprächen dieser verzweifelten Frau zu bedenken, daß nicht sie versagt hat, sondern die Kurzzeitpflegeeinrichtung. Dank ihrer fürsorglichen Betreuung ist in all den Jahren der Pflege nie der Zuckerspiegel entgleist und schon gar kein Druckgeschwür entstanden. Auch hat sie ihren Mann bis zuletzt geistig gefordert und für ausreichende körperliche Bewegung gesorgt.

Darüber hinaus wird sich die Angehörigen-Initiative Berlin e.V. mit einer Beschwerde an die Heimaufsichtsbehörde wenden.

j) Hol- und Bringedienste

Die sehr hilfreichen Hol- und Bringedienste stellen sich z.T. nur unzureichend auf Demenzkranke ein. So kann sich für einen Demenzkranken mit starken räumlichen Wahrnehmungsschwierigkeiten, beim Aussteigen aus einem Kleinbus ein unüberwindliches Loch auftun.

Aufforderungen des pflegenden Angehörigen, künftig eine Ein- und Austrittshilfe (Tritt) bereitzustellen, wurden mit fadenscheinigen Begründungen abgewiesen, etwa der Kranke könne sich daran verletzen.

Völlig überfordert war der Fahrer eines Kleinbusses der alleine sechs Demenzkranke von der Tagespflegestätte nach Hause bringen mußte. So konnte es geschehen, daß diesem Fahrer ein Demenzkranker aus dem Wagen heraus davonlief, während er einen anderen Kranken zu dessen Wohnungstür brachte.

Auch hier mußte ich mich erst einschalten, um Verbesserungen zu bewirken, damit die pflegende Ehefrau ihren Mann weiterhin dem Fahrdienst anvertraut.

k) Gesetzliche Betreuer

Betreuer, im juristischen Sinn, nehmen die Interessen von geschäftsunfähig gewordenen Personen wahr. Sie treffen Entscheidungen z.B. in Vermögensfragen, verfügen aber oftmals auch über das Aufenthaltsbestimmungsrecht. So kann die Einweisung in ein Pflegeheim nur von einem gesetzlichen Betreuer veranlaßt werden; d.h. der pflegende Angehörige, der seinen Demenzkranken in die Obhut eines Heimes geben will, ist gezwungen, zuvor die gesetzliche Betreuung für sich zu beantragen. Bis zur Einführung des neuen Betreuungsrechts vor wenigen Jahren nannte man diesen Vorgang "Entmündigung" und wird von vielen Angehörigen auch heute noch als solche empfunden. Sie schieben die Entscheidung zu diesem Schritt oft lange vor sich her und fühlen sich als "Verräter", wenn sie ihn schließlich doch tun (müssen).

Emotional erschwert wird die Beantragung der gesetzlichen Betreuung durch Formalitäten, die sicherlich im Sinne des zu Betreuenden gut gemeint sind. Sie wirken aber vor allem auf pflegende Ehepartner geradezu verletzend. Verstärkt wird dieser Eindruck besonders dann, wenn in den Amtsstuben ein unangemessener Ton angeschlagen wird. Die Haltung, mit der dem Angehörigen dort begegnet wird, ist zuweilen eher als obrigkeitsstaatlich zu bezeichnen, als von Empathie und Wissen um die Situation des Pflegenden getragen.

Im konfliktfreien Raum nimmt üblicherweise der pflegende Angehörige die gesetzliche Betreuung wahr. Sobald aber hierüber keine familiäre Einigkeit besteht, bestimmt das Vormundschaftsgericht hierfür einen amtlichen Betreuer. Meist sind das Rechtsanwälte.

In diesem Fall wird dem pflegenden Angehörigen sein ohnehin belasteter Pflegealltag zusätzlich erschwert. Er muß z.B. über alle Ausgaben Rechenschaft ablegen und muß sich in Fragen der medizinischen Versorgung erst durch den Betreuer autorisieren lassen.

Unter Umständen werden Konflikte in geschwisterlichen Beziehungen über den Betreuer ausgetragen, der Hinweisen des nicht pflegenden Kindes nachgehen muß. Für das pflegende Kind stellt sich das dann so dar, daß seine pflegerische Kompetenz von amtlicher Seite in entwürdigender Weise pauschal infrage gestellt wird. Außerdem wird mit der Heimeinweisung des pflegebedürftigen Elternteils und Liquidierung seines Immobilienbesitzes gedroht.

Um möglichen Schaden von dem Kranken abzuwenden, rate ich

  • den Betroffenen, noch im Anfangsstadium der Demenz eine Betreuungsrecht-Vorsorgevollmacht zu vereinbaren, bzw.
  • dem pflegenden Angehörigen, sich bei Gericht als gesetzlicher Betreuer einsetzen zu lassen.

Schlußbemerkung

In ihrer gebündelten Darstellung vermitteln die hier aufgeführten Beispiele ein scheinbar katastrophales Bild von der Arbeitsqualität professioneller Einrichtungen im Umfeld des Demenzkranken und seines pflegenden Angehörigen. Diese Zusammenstellung soll nicht dazu dienen, die Arbeit anderer abzuqualifizieren, sondern das Augenmerk auf einen bislang wenig beachteten wichtigen Aspekt der Angehörigenarbeit zu lenken. Wegen der hier beschriebenen Vorkommnisse, wurde das Ziel, die Betreuenden bei der Vertretung ihrer Interessen zu unterstützen, mit in die Satzung der Angehörigen-Initiative Berlin e.V aufgenommen.

In meiner Arbeit erlebe ich aber auch immer wieder das Engagement und die hervorragenden Leistungen anderer professioneller Helfer und Einrichtungen. Deren Arbeit wird erfahrungsgemäß nur wenig gewürdigt und allzu oft nur als selbstverständlich hingenommen. Dabei trägt doch die große Mehrheit der professionellen Pflegekräfte durch ihre qualitativ hochwertige Arbeit dazu bei, das Leben der Demenzkranken und ihrer pflegenden Angehörigen zu erleichtern und damit ihre Lebensqualität zu erhöhen.

© Rosemarie Drenhaus-Wagner
Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.

 


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