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Logo: Messe Altenpflege

gehalten am 6. Februar 1996 in Hannover von Dr. Holger Jenrich
(Chefredakteur der Fachzeitschrift Altenpflege)

Bei jedem 100. Menschen, meine Damen und Herren, stellen die Ärzte hierzulande bei Eintritt ins Rentenalter Hirnleistungsstörungen fest. 6,5 Prozent der über 60jährigen sind dement, jeder Fünfte ist es über 85, über 90 bereits jeder Dritte. Die meisten von ihnen sind AlzheimerKranke - von etwa 700.000 Demenzkranken im pflegebedürftigen Stadium leiden gut 430.000 unter dieser Krankheit. Ein Ende ist nicht abzusehen - in 15 Jahren, so pessimistische Prognosen, wird sich ihre Zahl der möglicherweise mehr als verdoppelt haben.

Eine Entwicklung, die auch die Fachjury nicht unbeeindruckt gelassen hat, die seit 1991 alljährlich den "Altenpflegepreis" des Vincentz-Verlages vergibt. Im vergangenen Jahr - manche von Ihnen werden sich noch daran erinnern - wurde das Alzheimer-Tageszentrum "Geiersber" in Wetzlar für seine Arbeit ausgezeichnet. Und auch dieses Jahr geht der Preis, er ist mit 10.000 Mark dotiert, an eine Frau, die sich diesem Thema widmet. Er wird verliehen an Rosemarie Drenhaus-Wagner für die Gründung der und ihre engagierte Arbeit in der "Angehörigen-Initiative Berlin".

In Berlin, so hat die dortige Alzheimer-Gesellschaft errechnet, leben 41.000 pflegebedürftige Demenzkranke. 83 Prozent von ihnen werden von ihren Angehörigen betreut. Es sind dies 34.000 Menschen, die - oft selbst schon alt - ihr Dasein radikal verändern und sich einer neuen Lebenssituation anpassen müssen. Es sind dies 34.000 Menschen, die täglich bei der Betreuung der Kranken an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen. Es sind dies 34.000 Menschen, die solange eine extreme Krisensituation zu meistern versuchen, bis sie oft selbst in eine Krise geraten - hilflos, überfordert, verzweifelt, alleingelassen.

Seit geraumer Zeit sind die Angehörigen demenzkranker Menschen in Berlin nun nicht mehr ganz allein. Sie zu betreuen hat sich die Altenpflegerin Rosemarie Drenhaus-Wagner zu ihrer Aufgabe gemacht - lange auf ehrenamtlicher Basis, seit wenigen Monaten nun als festangestellte Halbtagskraft beim "Sozialpädagogischen Institut" (SPI).

Das Konzept, das sie ihrer Arbeit zugrundelegt, ist denkbar einfach und in einem Satz zusammenzufassen: "Geht es dem Angehörigen gut, fühlt sich auch der kranke wohl!" Heere Worte - doch leichter gesagt als getan. Pflegende Angehörige werden schließlich nicht zu Unrecht die zweiten Opfer der Krankheit genannt. Sie nehmen tagtäglich Abschied von einem Menschen, ohne sich real von ihm zu trennen. Sie agieren täglich als 24-Stunden-Pfleger, ohne dafür ausgebildet zu sein. Sei reiben sich auf im täglichen Konflikt aus Unvermögen und Anspruchshaltung, ohne die Schuldgefühle, die Versagensängste, die Selbstvorwürfe jemals loszuwerden. Ein Alltag der Gegensätze. Sie sind dem Kranken der Lotse im Strudel von Zeit und Raum - und benötigen doch selbst Orientierung. Sie sind dem Kranken der Strohhalm, an den er sich klammern kann - und suchen selbst vergebens nach Halt. Sie sind dem Kranken der Rettungsanker in stürmischen Zeiten - und rufen doch selbst verzweifelt um Hilfe.

Hilfe bietet ihnen nun Rosemarie Drenhaus-Wagner. Der Fünf-Stufen-Plan, auf dem ihre Arbeit fußt, ist in seiner Art wohl nicht nur in Berlin einmalig. Frau Drenhaus-Wagner - verzeihen Sie mir den Ausdruck - rollt nämlich durch Berlin wie ein Demento-Mobil. Montags Berlin-Mitte, mittwochs Berlin-Friedrichshain, donnerstags Berlin-Marzahn, freitags Berlin-Zehlendorf - Programm nonstop und ohne Ende. Angeboten wird von ihr alles, was für die betroffenen Angehörigen wichtig sein könnte: Vortragsabende, Beratungssprechstunden, Telefonberatung, Hausbesuche, Gesprächsgruppen.

Die Vortragsreihe dient der reinen Wissensvermittlung - Betroffene sollen so umfassend und so verständlich wie möglich über die Ursache der Krankheit, ihre Entwicklung und die diversen Pflegeaspekte informiert werden. Die Beratungssprechstunden sind die nächste Stufe - Rosemarie Drenhaus-Wagner empfindet sie als "ersten wesentlichen Schritt zur Entlastung". Viele, so erzählt sie, kommen völlig niedergeschlagen und nervlich zerrüttet zu ihr. Etliche indes verlassen die Beratungen verändert - psychisch entlastet, mutiger und beseelt mit dem Gefühl, nicht mutterseelenallein dazustehen mit den ganzen Problemen einer derartigen Krankheit. "Endlich", diesen oder einen ähnlichen Satz hat sie schon oft gehört, endlich habe ich jemanden gefunden, mit dem ich reden kann."

Mit Rosemarie Drenhaus-Wagner kann man reden - nicht nur während der Sprechstunden. Wer pflegeorganisatorisch nicht in der Lage ist, ihr in Friedrichshain oder Marzahn von den Nöten, Ängsten und Schwierigkeiten zu erzählen, dem bieten sich als Alternative oder auch als Ergänzung die Stufen 3 und 4 ihres Selbsthilfekonzeptes. Die Telefonberatung ist dabei die weniger aufwendige Variante - der pflegende angehörige kann telefonisch um Rat nachfragen, oder Frau Drenhaus-Wagner ruft, um die Probleme wissend, von sich aus an. Aufwendiger intimer, persönlicher ist der Hausbesuch: Für die Angehörigen eine Möglichkeit, die Isolation zu durchbrechen, ohne mobil sein zu müssen - für Rosemarie Drenhaus-Wagner eine Chance, das private Umfeld kennenzulernen und darauf beratend zu reagieren zu können.

Mit ihr zu reden, ist für die Betroffenen, deren Herz übervoll ist mit Mißmut und Sorge und Verzweiflung, nützlich, sinnvoll und gut. Rosemarie Drenhaus-Wagner hört aktiv zu, beobachtet, informiert, regt an, unterstützt, ermuntert, erleichtert, ermutigt, baut auf. Sie vermittelt Kompetenz, Freundlichkeit, Sicherheit, Verständnis. Doch sie ist weit mehr als eine Mischung aus Briefkastentante und Seelsorgerin - sie ist durch ihre vielfältigen Angebote spiritus rector einer neuen "jetzt erst recht"-Bewegung geworden.

Beleg dafür ist die letzte Stufe ihrer Hilfsangebote und zugleich Herzstück der "Angehörigen-Initiative Berlin": die Gesprächsgruppen. Wahrend die Demenzkranken von Altenpflegerlnnen mit gerontopsychiatrischer Ausbildung betreut werden, nutzen die Angehörigen die Zeit zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch. Individualschicksale werden dabei zu Kollektivschicksalen, hilflos isoliert zu verständnisvoll Angenommenen, hoffnungslose Pessimisten zu vorsichtigen Optimisten. Die Gruppe bringt hier und da verloren geglaubten Lebensmut wieder ans Tageslicht. "Wenn ich wieder neuen Mut gefaßt habe", schreibt eine Betroffene nach einem solchen Gruppennachmittag, "wirkt sich das auch auf meinen Pflegealltag vorteilhaft aus. Ich bringe dann meinem Mann ein größeres Verständnis für seine vielen Defizite entgegen."

Rosemarie Drenhaus-Wagner ist mit ihrer Arbeit auf dem richtigen Weg. Ihr Satz "Geht es dem Angehörigen gut, fühlt sich auch der Kranke wohl!" findet nicht nur in solchen Dankesbriefen, sondern auch in der wissenschaftlichen Literatur Bestätigung. Da heißt es nämlich:

"Alzheimer-Kranke, denen vergönnt ist, in einer einfühlsamen Umgebung zu leben, verfallen weniger rasch. Bei ihnen entwickeln sich seltener Folgesymptome wie Depression, Angst und Unruhe."

Die "Angehörigen-Initiative Berlin" ist ein aufwendiges, ein lehrreiches, ein erfolgreiches Modell der Altenhilfe. Weil das so ist, will Rosemarie Drenhaus-Wagner sich mit dem Erreichten nicht begnügen und noch in diesem Jahr ihre Arbeit auf fünf weitere Berliner Stadtbezirke ausdehnen. Weil das so ist, schwebt Rosemarie Drenhaus-Wagner langfristig eine flächendeckende Versorgung der Vier-Millionen-Metropole vor. Weil das so ist, wird Rosemarie Drenhaus-Wagner mit dem Altenpflegepreis 1996" ausgezeichnet.

Vielleicht wird mit Hilfe dieser Preisvergabe auch ein anderer Satz Wirklichkeit, den sie voller Utopie, Hoffnung und Begeisterung für die Sache so gerne zitiert. "Unsere Arbeit" sagte sie mir bei unserem letzten Zusammentreffen, "steckt noch in den Kinderschuhen. Aber auch mit Kinderschuhen kann man eine Lawine lostreten."

 

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